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VON DER SOZIALSATIRE ZUR (PHILOSOPHISCHEN) SELBSTKRITIK

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Mit dem breit ausgeführten »Selbstportraitiren« der 7. Nachtwache reflektiert Kreuzgang zum er­sten­mal ent­schlos­sen auf das eigene gefähdete Leben. Die andauernde Selbstverwirrung über die ei­ge­ne Her­kunft und die - noch launige - Hypopthese, Kreuzungsprodukt zwischen dem Teufel und ei­ner Hei­li­gen zu sein, zeigt ihn just in der Mitte zwischen den »Wunderkind«-Jahren und der Des­il­lu­si­o­nie­rung am Gra­be des Schwarz­künst­lers. Jetzt eigentlich erst kommt der Erzähler auf die schwe­ren Selbst­ver­frem­dun­gen der Haupt­fi­gur. Sie kün­di­gen sich in der Leichenrede zum Geburtstag des Stie­fbru­ders an, wo Freu­de und Schmerz vom In­di­vi­du­um ab­ge­trennt gedacht, zu Leichen­wür­mern des Le­bens selbst er­klärt wer­den, bis end­lich die Lei­chen­träger die Freu­den des ein­zel­nen »und ihn selbst« hin­weg­füh­ren könn­ten. Das »und« zeigt blitz­ar­tig die Selbst­zer­stö­rung auf Kreuz­gangs wei­te­ren Sta­ti­o­nen von Nar­renhaus und Klo­stergang auf; und bei die­sem Ver­lust des frag­lo­sen »Selbst« läßt sich dann nicht mehr mit Begriffen der Trans­zen­den­tal­phi­lo­so­phie so spa­ßen und ko­ket­tie­ren wie et­wa in der 6. Nacht­wa­che, wo Raum und Zeit als Ge­gen­ka­te­gori­en zur Un­sterb­lich­keit auf­ge­bo­ten wer­den. Hier schon miß­lingt die Selbstverteidigung mit der spie­le­risch-kopf­ver­dre­hen­den Ar­gu­men­ta­ti­on, den Rich­tern mehr praktische Kompetenz abzuverlangen und zu­gleich doch die ei­ge­ne Tat als po­etisch-mo­ra­li­sche gleich doppelt jeder Rechtssprechung zu en­tzie­hen. Das Rich­ter­spie­len soll sich denk­bar ver­keh­ren.


Wohlgemerkt, immer ist hier von der Konsequenz in der Niederschrift der Nachtwachen die Rede und nicht schon in der dem Leser vorliegenden Biographie Kreuzgangs. Mit der Rekonstruktion des Schreib­pro­zes­ses ha­ben wir allerdings die Chance zu verfolgen, wie Klingemann schritt- oder sprung­wei­se zu ei­ner Selbst­kri­tik vor­stößt, die in der Frage nach Wesen und Bestim­mung des Menschen den me­ta­phy­si­schen Skan­dal nicht scheut. Die zuletzt vorherrschenden Sozialsatiren sind Durch­gangs­sta­ti­o­nen schon des­halb, weil die An­griffs­lust des Satirikers ja immer noch ein gut Stück Glau­ben an die Re­ak­ti­ons­fä­hig­keit seiner Opfer vor­aus­setzt. Gegenüber den Anfangsnacht­wachen hat sich al­ler­dings ei­ni­ges ver­scho­ben. Am besten läßt es sich im Ver­gleich mit der Konstruktion der »Frei­mü­thig­kei­ten« er­fas­sen, wo Hans­wurst im Parterre um sei­ne the­a­tra­li­sche Wiedererstehung kämpft, wäh­rend auf der Büh­ne sel­ber der Dich­ter­gott, mit Amor zu­sam­men von Mer­kel eingefangen, für ein im Kot­ze­bue­schen Ge­schmack zu ver­fer­ti­gen­des Lustspiel Dienst tun soll und da­für gehörig zu­recht­ge­stutzt wer­den muß. Har­le­kin hat es nur mit durchschnittlichen Ver­tre­tern des zeit­ge­nös­si­schen Pub­li­kums zu tun und zieht sich dabei recht gut aus der Affäre, greift aber nicht in die Haupt­sze­ne ein. Das hat sich ge­än­dert; Kreuzgang ist der Hanswurst-Rolle der Anfangsnachtwachen

 

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Auszug aus dem Vorabdruck der später unter dem Titel ›Freimüthigkeiten‹ erschienenen Satire Klingemanns. Quelle: ›Zeitung für die elegante Welt‹ (1803, Nr. 45 vom 14.4.)
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