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III Zu Wim Wenders
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MACHTKÄMPFE  INNERHALB  UNSERER  GEDÄCHTNISBILDUNG?

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die damals noch dem Jugendlichen vorschweben mochten und von denen er die eine oder andere um ein Haar er­grif­fen hätte, auch die meist jugendlichen Personen, die ihn damals zu interessieren begannen und die er oft grußlos aus dem Au­ge ver­lor, all das dürfte mit seinem diffusen Entwick­lungspotential beim Anblick der alten Schauplätze noch zu verspüren sein, kon­zen­trier­ter denn je und um so verwirrender. Insofern hat das seelische Erlebnis des erstmaligen Wiederaufsuchens wirklich Wahn­cha­rak­ter und ist – als Krisis – wohl auch nicht mehr wiederholbar. Als Krisis allerdings macht es auf verwand­te all­tägliche Ab­wehr­prak­ti­ken auf­merk­sam, mit denen wir unserer eigenen Ver­gangenheit wie einem lästigen oder bedrohlichen Rivalen ge­gen­über­tre­ten. Ver­fügen wir doch anscheinend über subtile, unmerklich funktionierende seelische Sperren und Aus­gren­zun­gen, die uns stärker auf die Erfordernisse der Gegen­wart, auf uns noch verbleibende Entwicklungsmöglichkeiten und ver­meint­lich pro­duk­ti­ve­re Tätigkeiten verpflichten sollen. Dazu gehört die von flüchtigen, gleich­sam touristischen Besuchern der ei­ge­nen Le­bens­stät­ten meist selbstzufrie­den bekundete, aber auch dem schon erfahrenen „Rückkehrer” immer wieder über­ra­schen­de un­so­li­da­ri­sche Er­leichterung, bestimmten Verhältnissen ein für alle­mal entkommen zu sein. Außerdem gibt es viele Nu­an­cen zwi­schen Herab­las­sung, Trauer und Verklärung, die emotional eine unüberwindliche Distanz signalisieren, ein Nicht­mehr­be­rührt­wer­den­kön­nen, das wirksamer als jedes Tabu ist. Bei gut do­ku­men­tier­ten Le­bens­zeug­nis­sen muß man freilich zu dra­sti­sche­ren Mit­teln grei­fen. Starke Be­frie­di­gung mag einem so das Ver­nich­ten alter, unwie­derbringlicher Photos bereiten: 1975, ein Jahr vor je­ner Rück­kehr, zerriß ich viele Pho­tos aus der Zeit mei­ner Kind­heit und Ju­gend und fühlte mich gut dabei. Denn ich be­stritt da­durch die von be­stimm­ten Erwachsenen - meist war es mein photographierender Vater - durch ih­re pe­ne­tran­te di­ri­gi­sti­sche An­we­sen­heit be­haup­tete Gewalt über mei­ne er­sten Le­bens­ab­schnit­te.


Auch an diese Befriedigung, die sich beim Vernichten solch manipulierter Photos einstellte, wurde ich 1976 wie­der erinnert, und zwar am Tag nach jener er­sten Rückkehr in meine Herkunft. Erschien am Ankunftsabend in die­sem Spät­som­mer vieles ver­schat­tet, verhuscht und ahnungsreich, da die altgewohn­ten Blickbahnen beim Her­an­fah­ren in meinem Volvo durch wu­cher­ndes Ge­büsch weithin verdeckt blieben, so lag nun am Tage al­les ent­zau­bert da und traten im Laufe der nächsten Stun­den, beim Durch­strei­fen jener Lebensräume, Un­men­gen nich­tiger Einzelheiten ins Auge, denen ich in der Jugend of­fen­kun­dig nie­mals Beachtung ge­schenkt hat­te: Un­wil­len und Nie­dergeschlagenheit mischten sich zu der wohltuenden Emp­fin­dung, in die­ser Um­ge­bung nichts mehr ver­lo­ren zu haben.Trotz dieser Befriedigung kam ich noch oft zurück und überzog mein Ter­rain, die­sen Le­bens­raum vom Nie­der­rhein bis zu der an­grenzenden Ruhrgebiets­stadt, in dem ich – bei drei Umzügen – vom 2. bis zum 20. Le­bens­jahr heran-


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