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ZU PROUSTS ,ICH IN MIR’

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ten, etliches, das zu verwirkli­chen oder modifiziert aufzunehmen immer noch gut oder schon wie­der an der Zeit wä­re? Und sind nicht diese alten, uns immer noch irritierenden Regungen vitaler als die üb­li­chen An­triebs­grün­de unserer gegenwärtigen Ex­istenz? Diese erschöpft sich ja oft ge­nug in Pro­blem­lö­sun­gen, die uns von wech­seln­den frem­den Umständen abgefor­dert wer­den; so daß wir die Ge­gen­wart fort­lau­fend ver­brau­chen zugunsten unse­rer nächsten ephemeridischen Präsenz, bis wir uns un­ver­se­hens auf ei­ner Ge­gen­warts­stu­fe wiederfinden, von der wir als unserer Zukunft kaum eine Ahnung ha­ben konn­ten und auf der wir dar­um mit un­se­rer Ver­gan­genheit immer weniger anfangen können.


Wer für sich verantwortlich bleiben möchte und darum akzeptiert, daß auch Längstabgelegtes noch zu uns ge­hört, daß auch die ent­täusch­ten Erwartungen und nicht zuletzt überwundenes Fehlverhalten unsere Identität aus­ma­chen und jeder vergangene und künf­ti­ge Lern­schritt sich un­serem allerengsten, kindli­chen Horizont ver­dankt, der wird sich wei­ter­hin für das Proustsche Kon­strukt der in uns be­wahr­ten und in der Erinnerung wie­der­zu­be­le­ben­den ‚Ich’-Mo­mente erwär­men können. Und wird auch für mög­lich hal­ten, daß ein be­stimm­ter Mo­ment in sei­ner vol­len Emp­findungsqualität wieder in uns erstehen kann. Daß die Erinne­rung hier­bei zeit­über­schrei­ten­den Cha­rak­ter gewinnt, kann allerdings nicht be­deuten, daß die da­ma­li­ge Si­tu­a­ti­on und auch nicht das da­ma­li­ge Ich als fi­xe ge­spei­cher­te We­sen­hei­ten wieder auftauchen. Wieder präsent sein in der Er­in­ne­rung kann le­dig­lich die see­li­sche Re­prä­sen­tanz der da­ma­li­gen Si­tuation, in die ‚Ich’ involviert war – prä­sent in uns, in un­se­rem ge­gen­wärtig bewußten Ich, und nicht et­wa statt sei­ner, so, als könn­te das eine durch das an­de­re „er­setzt” wer­den. Im übrigen hat Proust wie kein an­de­rer auf die Dif­fe­renz der Zei­ten auf­merk­sam ge­macht, in­dem er das Wie­deraufsteigen aus den Tiefen des Gedächtnisses mi­nu­zi­ös be­schreibt und aus­führt, wie das Er­leb­nis, das sich da­mals, dem Er­le­ben­den nicht bewußt, mit einem be­stimmten sinn­li­chen Ein­druck ver­knüpf­te, nur dank ei­nes ana­logen sinnlichen Bezugspunkts in der Gegenwart wieder in Er­scheinung zu tre­ten ver­mag.

 

Nun beschreibt Proust in seiner ‚Recherchekaum mehr als ein Dutzend sol­cher Erinnerungsdurchbrüche. Und was da in Er­in­ne­rung tritt, ist ja in sei­nem Gehalt vergleichsweise dürftig, es sei denn, es wird wie bei der Made­leine-Sze­ne grotesk aus­ge­wei­tet (als hät­te der Le­bensraum Combray, der da zugleich mit der auf­stei­gen­den Er­in­ne­rung schlag­ar­tig entfaltet worden wä­re,[5] der will­kür­li­chen Er­in­ne­rung wirklich un­zu­gäng­lich blei­ben müs­sen). Auch ist eine derartige Wie­dererstehung, in der selbst das kost­bar­ste Er­leb­nis nur im Schlepp­tau des Zu­falls sinn­lich her­an­geführt werden kann und ohne ihn für immer ver­schol­len blie­be, kaum ver­ein­bar mit der zu­grun­de­lie­gen­den Vor­stellung, daß da ein Ich substanti­ell und unveränderbar in uns lebte oder bloß 

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[5] Marcel Proust, Auf der Suche nach der verlorenen Zeit. Erster Teil: Combray. Werk­aus­gabe Suhrkamp, Deutsch von Eva Re­chel-Mer­tens (Frankfurt/M. 1964), Bd. 1, S. 65-67

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