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LITERARISCHER VAMPIRISMUS. KLINGEMANNS NACHTWACHEN. VON BONAVENTURA 

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möglich. Und es ist daher nicht ohne In­ter­es­se, daß Klingemann noch 1828 den philosophischen Impuls des Mo­no­logs vehement gegen ei­nen Kom­men­tar Lud­wig Tiecks ver­teidigt, der in seinen »Dramaturgischen Blättern« das »Sein oder Nicht­sein« un­zu­läs­sig eng von Ham­lets Racheauftrag an Claudius her ausgelegt hätte. Dies nicht oh­ne Schuld des Über­set­zers: »Schlegel hat, des Verses wegen, übersetzt:das ist hier die Frage!‹ Da­von steht aber im Ori­gi­na­le (›that is the question‹) nichts, und der Satz ist nicht auf das Be­son­de­re, son­dern viel­mehr auf das große all­ge­mei­ne Fra­ge­zei­chen, über Fortdauer oder Vernich­tung nach dem Tod ge­stellt, wel­ches bis jetzt noch durch kei­ne ge­nü­gen­de Ant­wort be­sei­tigt ist.«44


Dieser dezidiert philosophische Frageansatz wird nicht allein in dem Briefwechsel selbst vertieft, son­dern schon die Be­gleit­be­din­gun­gen ihres Rollenspiels, vorab »Hamlets« Ausfälle gegen das Pu­b­li­kum stei­gern sich zu­gleich mit sei­nem Dis­kurs ins Metaphysische. Seine Reminiszenz, »einst aus In­grimm über die Mensch­heit« den Ham­let gespielt zu ha­ben, als Gast­rol­le, um »mich gegen das schwei­gend da­sit­zen­de Par­terre eines Theils meiner Galle zu ent­le­di­gen«, die­se kleine Aggression, die er auch in sei­nem Wi­der­ruf der Si­tu­a­ti­on bringt, »als wir noch blos auf dem Hof­the­a­ter uns zum Ver­gnü­gen der Zu­schau­er lieb­ten«,45 sie wird nun in dem Maße, in dem beider Rollenspiel sich von der »Ham­let«-Vor­ge­schich­te löst und neu als Selbsterkundung definiert, auf eine entsprechend hö­he­re Zu­schau­er-In­stanz über­tra­gen an­fäng­lich in Kreuzgangs Hypothese, daß bei Liebes­ent­halt­ung »un­ser Herr­gott, oder wer sonst zu­lezt den Erd­ball noch ein­mal an­schau­en will, ihn zu sei­ner Ver­wun­de­rung von Men­schen durch­aus entvölkert gefunden hätte«; und schließ­lich auch in seiner Hoff­nung auf »ei­nen lez­ten Schau­spie­ler, der grimmig das Papier zerreißt und aus der Rolle fällt, um nicht mehr vor ei­nem un­sicht­bar da­si­zen­den Par­terre spielen zu müs­sen.«

   Aber das ist beinahe schon sein letztes Wort in der Korrespondenz. Mit welchen Skrupeln hatte er nicht erst hin­ein­zu­fin­den in sein Rollenspiel! »An den Mond«, »An die Liebe«, »Hamlet an Ophelia«, so muß er sich, pa­rod­istisch sich frei­schrei­bend von den literarischen Vermarktungen des Gefühls, sei­ner Zel­len­nach­ba­rin nä­hern und die Mas­ke der Lie­be, die zu tra­gen auch er sich verurteilt findet, sei­ner­seits mas­kie­ren, den Zwang zur ge­schlechtlichen Lie­be mit dem Be­wußt­sein über­spie­len, daß er nur als »Lie­bes­kran­ker« Ge­gen­lie­be suchen mag. Aufrichtig in seinem Grimm, ist er da­bei auch zwei­deu­tig in sei­nem spie­le­ri­schen Anbändeln mit der alten Rollenbeziehung, wie er denn über­haupt in vie­len wört­li­chen An­spie­lun­gen auf den »Ham­let« immer sowohl Anschluß sucht wie anders könn­te er die Verwirrte, noch den Mu­schelhut ihres Geliebten Besingende ansprechen! – als auch nach­drück­lich und im­mer fordernder die per­sön­li­che Dif­fe­renz. Ophelia zö­gert, sich seiner wortreichen Ka­pi­tu­la­ti­on an­zu­schlie­ßen und im Ressentiment zu zeugen, sucht in er­grei­fen­dem Scharfsinn ihrer Selbst­spal­tung auf der Spur zu blei­ben und von ihrem ersten Satz an zu unterscheiden zwi­-

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44  Kunst und Natur, a.a.O. (Fußnote 23), Bd. 3, S.  208-212

45  14. Nachtwache, a.a.O., S. 162 bzw. 157

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