Home
Impressum
RUTH FLEIGS GALERIE
Schulkinder malen
Bilderbuch Rob. Rabe
Kritzel-Kratzel
HORST FLEIGS TEXTE:
I  Philosophica
A ZUR ANTHROPOLOGIE
Sloterdijk-Habermas
Pico della Mirandola
Michel de Montaigne
J. G. Herder
Max Scheler
Helmuth Plessner
Rück- und Ausblick
B ERINNERUNGSBILDUNG
Schock der Rückkehr
Erinnerungsautomatik
Wuchernde Phantasie
Seel. Raumpositionen
Sprache und Erinnern
Besuch als Korrektiv
Identitätsfragen
Steuernde Phantasie
Über das Vergessen
Biogr. Stimmigkeit
Proust. Doppelgänger
Psychobiologisches
II  Reiseberichte
III Zu Wim Wenders
IV Film und Kindheit
V Mitschüler/Schulen
VI Germanistica
BESUCH ALS KORREKTIV:  WIEDERSEHEN  UND  -ERKENNEN  NACH  JAHRZEHNTEN

-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------



­

darüber, daß kaum einer über die in un­se­rem Ge­spräch be­rührte Zeit, über sich selbst und seine Erinnerungen im Sinne ei­ner bi­o­gra­phi­schen Kontinui­tät oder auch Abweichung und Neuorientierung Rechen­schaft zu geben wußte; daß zwar nahezu je­der­mann glaub­te oder doch glau­ben zu machen suchte, sich unendlich weit von seinen Anfängen fort­ent­wi­ckelt zu ha­ben, für mich je­doch eben der­sel­be geblieben war – und zwar stumm und bewußtlos, bei­na­he wie ei­ne Ma­ri­o­net­te sei­ner Ver­gan­gen­heit, mit der er so gut wie nichts mehr mein­te an­fangen zu kön­nen. Auch die Ge­dächt­nis­stärk­sten waren in der Kennt­nis und Res­pek­tie­rung der ei­ge­nen Lebensgeschichte in der Regel weit zu­rück­ge­blie­ben, an­schei­nend ohne Ahnung um Aus­maß und Wert ih­rer frü­hen Er­fah­run­gen oder um das, was seit­dem von den ei­ge­nen Möglichkeiten alles hatte auf der Strecke blei­ben müs­sen. Da­bei war je­der­mann mitt­ler­wei­le längst über das Al­ter hinaus, in dem es etwa noch um die Grundsi­che­rung der bür­gerli­chen Exi­stenz gehen moch­te.

    Auf der Rückfahrt von meinen Besuchen wurde mir wiederholt das Herz schwer. Erneut hatte ich die Emp­fin­dung, als wäre bei je­man­dem, den ich einst schätzte, ein zentraler Lebensabschnitt seit langem schon ab­ge­stor­ben und als hät­te ich, der ja als ein­sti­ger Weg­ge­nos­se mit zu dieser verschwunde­nen Er­in­ne­rungs­sphä­re ge­hör­te, für im­mer einen wichtigen Zugang zu mir selbst ver­lo­ren.


Allerdings hatte ich ja meine Erinnerungen an Kindheit und Jugend soeben erst - wenn auch nur in einer Roh­fas­sung - aus­führ­lich zu Papier gebracht. War ich bloß erschöpft oder wie ausge­schrie­ben? Und glaubte ich die Weg­ge­fähr­ten ei­gent­lich erst jetzt ver­lo­ren zu haben, nachdem ich sie in der Erinnerungsbeschreibung un­se­res ge­mein­sa­men Milieus und in dem meist nach­fol­gen­den Ge­spräch besser einzuschätzen wußte? Oder gab mir eher mei­ne oben be­haup­te­te Vermutung den Rest, daß es für die an­de­ren wie für mich sel­ber keine nen­nens­wer­te in­ne­re Entwicklung gegeben hätte? So daß auch all das, was ich da über Jah­re hin in Er­in­ne­rung ge­ru­fen hat­te, bloß re­tro­spek­tiv und im Grunde fruchtlos bleiben müßte?


So begann ich wiederum an diesen Zweifeln zu zweifeln. Mußte mein Ein­druck einer allgemeinen Selbst­ver­ges­sen­heit nicht schon des­halb aufkommen, weil ich von Begegnung zu Begegnung einen größeren In­for­ma­ti­ons­vor­sprung hatte? Ich bemerkte ja, daß manch ei­ner dar­über beunruhigt war und dies in sei­ner Ver­le­gen­heit mit­un­ter zu kompensieren suchte, indem er plötz­lich nach ir­gend­wel­chen Do­ku­men­ten und Pho­tos zu kra­men be­gann. Vor allem aber eins: Welche Rolle spielte beim Wie­der­se­hen meine Freu­de, beim an­de­ren dies und das wie­der­zu­ent­de­cken, kleine Merkmale, die mich gerade deshalb, weil ich sie schon halb ver-


- 24 -


ZurückWeiter
Top
http://www.fleig-fleig.de/