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Das 1926 erbaute Sterkrader Polizeipräsidium
Links der spätere Fahrradweg des Gymnasiasten Horst Fleig




Dr. Josef Linnartz 1957/58 (*1892)

Herr Linnartz war 1914-18 Kriegsfreiwilliger (1917 Leutnant d.R.) und erhielt 1920 die Lehrbefähigung für Deutsch, Englisch und Französisch; seit 1922 unterrichtete er am Sterkrader Lyzeum und am Gymnasium.


Bildquellen: www.alfred-ulrich-lindemann.de ("Kalender" Jan. 1997)  ‘Festschrift zum 100-jährigen Jubiläum des Freiherr-vom-Stein-Gymnasiums’ (Oberhausen 2005, S. 48)


Vgl. auch diesen Link zur Personalakte von Herrn Linnartz.


DEUTSCH



In diesem Fach unterrichtet uns wohl bis einschließlich Quinta Herr Dr. Linnartz, ein kleiner alter Mann, der ge­le­gent­lich einen kurzen Tob­suchts­an­fall be­kommt und so sei­nen Spitznamen „Gift­zwerg” immer noch zu verdienen scheint. Er wird da­bei aber nie­mals hand­greif­lich und ist an­sonsten sanft und mit­un­ter gar lie­bens­wür­dig. Eine Zeit­lang komme ich täglich mit dem Fahr­rad an dem Eck­haus vor­bei, das er schräg ge­gen­über dem Po­li­zei­prä­si­di­um be­wohnt. Mit sei­ner Per­son fest assoziiert sind für mich Ge­dichte und Bal­la­den von Fon­ta­ne (‚Herr von Rib­­beck auf Rib­beck’, ‚John Mayn­ard’) so­wie Schil­lers ‚Die Kra­ni­che des Iby­kus’. Und ist es nicht Dr. Linnartz, der die Hand­lung eines von uns aus­wen­dig zu ler­nen­den Ge­dichts als ent­setz­lich be­zeich­net? Es ist Hebbels ‚Der Hei­de­kna­be’, dessen Atmo­sphä­re sich as­so­zi­a­tiv, über den An­blick der blut­ro­ten Son­ne, um mein Elternhaus gela­gert hat.

Es fällt mir erst jetzt auf, daß auch jene anderen mir aus seinem Unter­richt noch er­in­ner­li­chen Bal­la­den um Tod oder To­des­be­dro­hung krei­sen.

   Und ein weiteres Gedicht fällt mir dabei wieder ein, das wir schon bei Dr. Linnartz gelernt haben dürf­ten und das mit dieser Fon­ta­ne­schen The­ma­tik von Tod und Auferstehung des Menschen ver­wandt ist, Pla­tens ‚Grab im Bu­sen­to’ näm­lich, des­sen Ver­se von den nächt­lich wi­der­gän­ge­ri­schen „Schat­ten tap­fe­rer Go­ten,/ Die den Alarich be­weinen, ihres Volkes be­sten To­ten”, mir von Zeit zu Zeit wieder in den Sinn kom­men. Wo­bei ich nun auch an eine Be­mer­kung von Herrn Linnartz den­­ken muß, die er vor der Be­er­di­gung ei­nes Schülers macht, der ein oder zwei Klas­sen über uns war und töd­lich ver­un­glück­te:

Wie traurig muß es doch sein, so jung, ohne die Welt näher kennenge­lernt zu ha­ben, zu ster­ben. Seine Be­grün­dung will mir nicht ein­leuch­ten, denn ich, der ich noch viel jünger bin, ken­ne die Welt eigentlich schon ganz gut.


Aus seinem Unterricht ist mir nur noch die eine Situation erinnerlich, als er den Charme ei­ner jun­gen deutschen Eis­kunst­läu­fe­rin preist, was mich ver­wun­dert, weil unsere Stu­di­en­rä­te über Sport­ler und Zeit­er­eignis­se nicht zu spre­chen pfle­gen.

Es dürfte dies Gundi Busch gewesen sein, die Weltmeisterin von 1954, die noch im selben Jahr zur „Hol­ly­wood Ice Re­vue” ging.


Diese Erinnerung scheint nun gar nicht zu der chthonischen Aura von Dr. Linnartz zu passen. Doch be­mer­ke ich, daß in mei­ner Er­in­ne­rung das un­deut­li­che Bild dieser Eiskunstläuferin ebenso wie Schil­lers und Fon­ta­nes Balla­den seit eh und je bei ei­nem nie­dri­gen Häu­ser­block ge­gen­über dem Poli­­zei­prä­si­­di­um an­ge­sie­delt sind, die Balladen rechts, das freundli­che Phan­ta­sie­bild der Eis­läu­fe­rin links au­ßen. Noch weit­er links aber, auf der an­deren Stra­ßenseite schräg gegenüber Block und Prä­si­di­um, stand das Eck­haus von Herrn Lin­nartz! Wie intensiv muß ich doch da­mals und wohl noch Jah­re später an ihn ge­dacht ha­ben, das heißt in Ver­knüpfung mit die­sen sei­nen The­men, da ich mit ihm selbst kei­ne un­an­ge­neh­men per­sön­li­chen Er­fah­run­gen ver­bin­de.

   Wie ich erst später erkannte, bei der Be­schrei­bung meines Schulweges, hat je­ne Lokalisierung ge­gen­­über dem Po­li­zei­prä­si­di­um eine ent­schei­den­de zu­sätz­li­che De­terminante: Un­mittelbar rechts von die­sem Häuser­block, an­gren­zend an den Ort mei­ner balladesken To­des­phan­ta­si­en, lag der Ein­gang zu dem für mich so be­klem­menden dunklen Hohl­weg, der schnur­stracks aufs Gym­na­si­­um zu­führte (s. Pho­to S. 25).

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