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Mein letztes Wegstück zum Gymnasium (Photo wohl vom Juli 1991)

 

Aura meines Gymnasiums (Phantasiebilder der Gewalt)

 


Als ich im Geiste wieder meine alte Fahrradstrecke zur Schule verfolgte, war mir das letzte Weg­stück, das auf den Park mit dem an­gren­zen­den Gym­na­si­um zuführte, zuerst nicht mehr erinnerlich. Es wurde überlagert vom An­blick einer groß­räu­m­igen Sied­lung, die dort erst vie­le Jahre später er­rich­tet wur­de und die ich seit meiner ersten Rückkehr 1976 öf­ter vor Au­gen hat­te. Erst als ich ei­nes Ta­ges an ei­nen ge­wissen aggressiven Tic dach­te, den ich just in den Jahren um 1975/76 hatte, nämlich gelegentlich in Ge­dan­ken wie ein In­fan­te­rist oder Stoß­truppführer auszurufen: „Sprung auf! In den Nah­kampf!” (oder so ähn­lich), sah ich zu­gleich die­ses ver­schol­le­ne Wegstück plötzlich wieder deutlich struk­tu­riert vor mir.

   Beim Beschreiben des Wegstücks bemerkte ich sodann, daß sich hier eine weite­re (au­to-)­ag­gres­sive Phantasie angesiedelt hatte: Wenn mir Lenz' Tragi­komödie ‚Der Hof­mei­ster’ und die satirisch kommentierte Selbstkastration dieses trauri­gen Helden, eines Haus­leh­rers, in den Sinn kommt, pflegt mir das­selbe Wegstück vorzuschweben, diesmal per­spek­ti­visch leicht versetzt, so wie ich es bei der er­sten ‚Hof­mei­ster’-Lektü­re (in der Zeit um 1976 oder später?) un­willkürlich bei­gekommen war.

   Und eine dritte aggressive Assoziation konnte sich noch viel später die­sem Wegstück zu­ge­sel­len. Ungefähr um 1990 hatte ich es wi­eder vor Au­gen, als ich ein Fernsehspiel über Eich­manns Vater sah, einen Münchner Gym­nasialdirek­tor, der einen seiner Schü­ler mit kal­tem Sa­dis­mus fer­tig­mach­te und wohl in den Tod trieb.


Für die Eichmann-Asso­ziation und die anderen gewaltandrohenden Phanta­siebilder gibt es für mich nur die eine plau­sib­le Er­klä­rung: Ich habe mich auf meinem alten Fahr­rad­weg endlich meinem Gymnasium genähert, der Stätte so vie­ler Ent­täu­schun­gen, De­mü­ti­gun­gen und (auch selbst­ver­schul­de­ter) Lei­den. Jetzt müß­te ich nur noch in das letzte, kaum 100 Meter lan­ge Weg­stück am Saum des Parks ein­fah­ren, in den schma­len dunk­len, von Baum­kronen über­­dach­­ten Aschen­weg, der di­rekt auf das Gymnasium zu­führt.


Ich photographierte diesen Zugang schon Mitte der 80er Jahre und no­tierte dazu, daß die­se Wegstrecke in meiner Er­in­ne­rung für den Zeit­raum der Sex­ta und Quinta stehe; und daß mir merkwürdigerweise bei diesem An­blick gar nicht be­klom­men zu­mu­te sei, ob­wohl es doch ein „Phan­tom­bild der Angst” sei. Immer noch ist dieser Anblick des Photos von kei­nem Ge­fühl be­glei­tet. Da­bei steht er für mich wei­ter­hin für Angst schlechthin, als en­ger dunk­ler Kor­ridor, durch den hin­durch ich mich ins Un­ver­meid­li­che zu be­ge­ben ha­be. Emp­fin­dungen hat man freilich bei einem solchen tag­täg­li­chen Ein­tritt bes­ser kei­ne mehr.

    Zu meiner Überraschung fällt mir erst jetzt ein, daß sich ja um diesen Zu­gang zum Park und Gymnasium längst schon To­des­bil­der an­ge­la­gert ha­ben, die dem Deutschunterricht des dort wohnenden Dr. Lennartz entstammen (vgl. S. 8): die Grä­ber des so kin­der­freund­li­chen Herrn von Rib­beck und des Westgotenkönigs Alarich (als Pfadfinder war ich ein „Ost­go­te”), die Op­fer­fahrt des John Mayn­ard sowie die Morde an dem Hei­de­kna­ben und dem Dich­ter Ibykus. Diese Phan­ta­sie­bil­der, die meine Opferrolle be­zeich­ne­ten und dar­aus ei­nen eigenen Toten­kult machten, wa­ren zwei­fel­los die see­lisch frü­he­ren und von ei­ner solch magi­schen Ge­walt, daß sie jene aggressiven Erwachsenenphantasien, die offenbar mit ge­wis­sen Leh­rern ab­zu­rech­nen such­ten, in ihren Bann zie­hen und in ih­rer un­mittelba­ren Nähe ansiedeln konnten.


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