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WEITERE POSTSKRIPTE


WERDEGANG EINES THEATERLEITERS - ANONYME FRÜHSCHRIFT »Die Erscheinung« (1800) - Schelling als Verfasser des »ältesten Systemprogramms des Deutschen Idealismus«

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gegründeten »Braunschweigischen Nationaltheaters«. Wie auch das 1826 in unmittelbarer Nachfolge etablierte »Herzogliche Hoftheater« beanspruchte eine solch große stehende Bühne mit fest engagierten und auf wochenlangen Theaterreisen neu zu engagierenden Schauspielern ihren (General-)Direktor in ei­nem Maße, dass Klingemann nur noch vereinzelt ein neues eigenesTheaterstück zu Papier bringen und in Braunschweig aufführen konnte.

  Vermutlich bedauerte er diesen Verzicht nicht einmal, gab er doch anläßlich einer späteren Aufführung seines Columbus (1808) dem befreundeten Ham­burger Theaterleiter Friedrich Ludwig Schmidt die entwaffnende Erklärung: »Streichen Sie in dem Dinge was sie wollen, das ist aufgedunsener Tugendquark ... Ueberhaupt bezweifle ich, daß ich jemals ein eigentliches dramatisches Talent gehabt; höchstens bin ich nur Theaterschriftsteller einer Zeit gewesen.« (August Klingemann. Briefwechsel, a.a.O. Nr. 175 vom 10. 9. 1822). So das Fazit von einem der meistgespielten und finanziell erfolgreichsten deutschen Theater­schriftsteller seiner Zeit, der bis dahin gut zwei Dutzend Bühnenstücke verfasst hatte.

 

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Das von Ruth Haag abgebildete Schriftenverzeichnis ist trotz der Ergänzungen von Klingemanns Hand lückenhaft. Insbesondere aus seiner Frühzeit blieb bis heute noch die eine oder andere anonyme Publikation unentdeckt, darunter die bei seinem ersten Verleger Carl August Schröder in Braunschweig im Jahre 1800 erschienene »Arabeske« Die Erscheinung‹. Statt auf südländischen Schauplätzen, wie beim jungen Klingemann üblich, spielt der Roman weithin in Hamburg. In der ersten Hälfte ist es ein Briefroman vor allem zwischen zwei englischen Freunden, dem nach Hamburg gezogenen Ferdinand Belton und dem Londoner Edmund Hower. Das Weitere wird in einer stark auktorialen »Er-Form« erzählt, da der Londoner Freund seinem leichtgläubigen Ferdinand zu Hilfe eilen muss.

   Ein anonymer Rezensent bei der Allgemeinen Literatur-Zeitung‹ tat im Mai 1800 den Roman als eine der vielen Nachahmungen von Schillers Romanfrag­ment ›Der Geisterseher‹ ab, doch handelt es sich bei Klingemann trotz Maskerade, erotischer Verführungsszenerie und Geisterbeschwörung nicht um ein po­litisches Komplott, sondern um eine sehr persönliche Rache-Intrige. In seiner frühromantischen Tendenz weist dieser Roman neben wechselnden Erzählper­spektiven zusätzlich Fußnoten mit Digressionen und mitunter (selbst-)ironischen Kommentaren zu Verhalten und Argumentation der Protagonisten auf, setzt von Zeit zu Zeit zu einem literarischen Gespräch an (vor allem über Shakespeare, bei gelegentlicher Erwähnung etwa Tassos, Ariosts, Miltons oder des deut­schen Rührstücks à la Kotzebue) und lässt sogar ein leider nur ungenügend ausgeführtes philosophisches Interesse durchblicken – »Ich will Menschen ken­nen lernen, will dieses Mittelding zwischen Gott und Thier näher erforschen, und mit dem kalten Mantel der Stoa meine heißen Wunden bedecken«, so em­phatisch begründet zu Beginn der nach Calais übergesetzte Ferdinand seine Abreise. Nach glücklicher Zerschlagung jenes Ränkespiels jedoch, das in einer für ihn geistesverwirrenden mitternächtlichen Geistererscheinung gipfelte, bekennt sich Ferdinand wie sein Freund zu dem Plato zugeschriebenen Diktum (Epikurs), das ihm der entkommene Intrigant und Macbeth-Verehrer Werneich ernstlich empfohlen hatte: »Λαθε βιωσας. Glücklich, dessen Leben in stiller Verborgenheit ruhig dahin fließt!« (S. 6f. und 226)

    Der Verfasser ist für das geschulte Auge schon nach wenigen Seiten an seinen Schreibvorlieben und seiner Motiv- und Themenwahl zu erkennen; der Roman freilich gehört zu den blasseren Erzeugnissen der Klingemannschen Feder.

 

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Postskript Januar 2022 zum sog. Ältesten Systempogramm des Deuschten Idealismus

 

Das von mir entwickelte Verfahren der mikrostilistischen Identifizierung eines Autors lässt sich nicht nur auf poetische Texte wie die Nachtwachen von Bo­naventura‹ anwenden. Ich hatte es um 1975 versuchsweise auch für die umstrittene Frage nach dem Verfasser des um 1796/97 entstandenen sogenannten Ältesten Systemprogramms des Deutschen Idealismus‹ durchgeführt. Während für »Bonaventuras« 16 Nachtwachen‹ ein außerordentlich umfangrei­ches Textvolumen vorlag, so dass ich beim milrostilistischen »Exklusionsverfahren« die meisten Autoren seiner Zeit schon nach 20, 30 Lektüreseiten aus­schließen konnte, umfasst dieses fragmentarische Systemprogramm‹ kaum mehr als zwei Druckseiten (mit gut 700 Wörtern). Für mein Exklusionsverfah­ren waren deshalb weit umfassendere Vergleichstexte bei den drei zur Diskussion stehenden Autoren Hegel, Hölderlin und Schelling erforderlich (ihre zum Vergleich herangezogenen Texte waren durchschnittlich 238 Seiten stark).

   Bekanntlich liegt dieses Fragment als Abschrift aus der Feder von Hegel vor und wurde 1962 von Otto Pöggeler auch Hegel selber zugeschrieben. Wie je­doch aus den um 1794-1798 publizierten Texten der Tübinger Stifts- und Zimmergenossen Hegel, Hölderlin und Schelling hervorgeht, kommt nach meinem mi­kro­stili­sti­schen Exklusionverfahren und der nachfolgenden affirmativen Untersuchungsmethode nur Schelling als Verfasser in Fra­ge. Sogar der sehr spe­zi­el­le Wortvergleich, der sich nur auf das philosophische Vokabular bezieht, weist für mich eindeutig auf Schellng als Autor hin; siehe diese vergrößerbare PDF-Wort­ta­belle:

https://drive.google.com/file/d/1-LiOdugEbsurYTkSAnrZjo7KpU6lOFnc/view?usp=drivesdk

 

Einen ersten Überblick in schlechterer Bildqualität kann man sich auf den beiden nachfolgenden beiden Seiten verschaffen.

    Wie in der Literatur gelegentlich vermutet wurde, halte auch ich es für wahrscheinlich, dass Hölderlin in den Gesprächen, die er 1795 und im Frühjahr 1796 mit Schelling führte, wesentliche Anregungen für das sog. Älteste Systemprogramm gab. Zu entsprechenden Plänen und Formulierungen Hölderlins, die jenen kunstreligiösen Enthusiasmus bezeugen und zugleich auch ein politisches Gleichheitsideal beschwören, vgl. insbesondere seine Briefe vom 14.2.1796 an F. I. Niethammer, vom 26.1.1795 an Hegel sowie vom 9.11.1795 und 10.1.1797 an J. G. Ebel (in: Hölderlin, ›Werke und Briefe.‹ Hg. v. F. Beiß­ner und J. S. Schmidt (Frankfurt/M. 1969), Bd. 2, S. 851f., S. 838f. sowie 848f. und 863f.).


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