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Das 1926 erbaute Sterkrader Polizeipräsidium
Links der spätere Fahrradweg des Gymnasiasten H.F.






Herr Dr. L. (1957/58)

Quellen: www.alfred-ulrich-lindemann.de ("Kalender" Jan. 1997)  ‘Festschrift zum 100-jährigen Jubiläum des Freiherr-vom-Stein-Gymnasiums’ (Oberhausen 2005, S. 48)



DEUTSCH


IIn diesem Fach unterrichtet uns wohl bis einschließlich Quinta Herr Dr. L., ein kleiner alter Mann, der ge­le­gent­lich einen Tob­suchts­an­fall be­kommt und so sei­nen Spitznamen „Gift­zwerg” immer noch verdient. Er wird da­bei aber nie­mals hand­greif­lich und ist ansonsten sanft und mitun­ter gar lie­bens­wür­dig. Eine Zeit­lang komme ich täglich mit dem Fahr­rad an dem Eck­haus vor­bei, das er schräg gegenüber dem Polizeipräsidium be­wohnt. Mit sei­ner Per­son fest ver­bun­den sind für mich Ge­dichte und Bal­la­den von Fon­tane (‚Herr von Rib­­beck auf Rib­beck’, ‚John Mayn­ard’) so­wie Schil­lers ‚Die Kra­ni­che des Iby­kus’. Und ist es nicht Dr. L., der die Handlung eines von uns aus­wen­dig zu ler­nen­den Ge­dichts als ent­setz­lich be­zeich­net? Es ist Hebbels ‚Der Hei­de­kna­be’, dessen Atmo­sphäre sich as­so­zi­a­tiv, über den An­blick der blut­ro­ten Son­ne, um mein Elternhaus gela­gert hat.

Es fällt mir erst jetzt auf, daß auch jene anderen mir aus seinem Unter­richt noch er­in­ner­li­chen Bal­la­den um Tod oder To­des­be­dro­hung krei­sen.

   Und ein weiteres Gedicht fällt mir dabei wieder ein, das wir schon bei Dr. L. gelernt haben dürf­ten und das mit dieser Fon­ta­ne­schen The­ma­tik von Tod und Auferstehung des Menschen ver­wandt ist, Pla­tens ‚Grab im Bu­sen­to’ näm­lich, des­sen Ver­se von den nächt­lich wi­der­gän­ge­ri­schen „Schat­ten tap­fe­rer Go­ten,/ Die den Alarich be­weinen, ihres Volkes be­sten To­ten”, mir von Zeit zu Zeit wieder in den Sinn kom­men. Wo­bei ich nun auch an eine Be­mer­kung von Herrn L. den­­ken muß, die er vor der Be­er­di­gung ei­nes Schülers macht, der ein oder zwei Klas­sen über uns war und töd­lich ver­un­glück­te:

Wie traurig muß es doch sein, so jung, ohne die Welt näher kennenge­lernt zu ha­ben, zu ster­ben. Seine Be­grün­dung will mir nicht ein­leuch­ten, denn ich, der ich noch viel jünger bin, ken­ne die Welt eigentlich schon ganz gut.


Aus seinem Unterricht ist mir nur noch die eine Situation erinnerlich, als er den Charme ei­ner jun­gen deutschen Eis­kunst­läu­fe­rin preist, was mich ver­wun­dert, weil unsere Stu­di­en­rä­te über Sport­ler und Zeit­er­eignis­se nicht zu spre­chen pfle­gen.

Es dürfte dies Gundi Busch gewesen sein, die Weltmeisterin von 1954, die noch im selben Jahr zur „Hol­ly­wood Ice Re­vue” ging.


Diese Erinnerung scheint nun gar nicht zu der chthonischen Aura von Dr. L. zu passen. Doch be­mer­ke ich, daß in mei­ner Er­in­ne­rung das un­deut­li­che Bild dieser Eiskunstläuferin ebenso wie Schil­lers und Fon­ta­nes Balla­den seit eh und je bei ei­nem nie­dri­gen Häu­serblock ge­gen­über dem Poli­­zei­prä­si­­di­um an­ge­sie­delt sind, die Balladen rechts, das freundli­che Phan­ta­sie­bild der Eis­läu­fe­rin links au­ßen. Noch weit­er links aber, auf der an­deren Stra­ßenseite schräg gegenüber Block und Prä­si­di­um, stand das Eck­haus von Herrn L.! Wie intensiv muß ich doch da­mals und wohl noch Jah­re später an ihn ge­dacht ha­ben, das heißt in Ver­knüpfung mit die­sen seinen The­men, da ich mit ihm selbst kei­ne un­an­ge­neh­men per­sön­li­chen Er­fah­run­gen ver­bin­de.

   Wie ich erst später erkannte, bei der Be­schrei­bung meines Schulweges, hat je­ne Lokalisierung ge­gen­­über dem Po­li­zei­prä­si­di­um eine ent­schei­den­de zu­sätz­li­che De­terminante: Un­mittelbar rechts von die­sem Häuser­block, an­gren­zend an den Ort mei­ner balladesken To­des­phan­ta­sien, lag der Ein­gang zu dem für mich so be­klem­menden dunklen Hohl­weg, der schnur­stracks aufs Gym­na­si­­um zu­führte (s. Pho­to S. 25).

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